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Die Finanzialisierung von Unternehmen.

Faust, Michael ; Kädtler, Jürgen
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie ( KZfSS), Jg. 70 (2018-10-02), Heft 1, S. 167-194
Online academicJournal

Die Finanzialisierung von Unternehmen  The Financialization of the Enterprise 

Die Finanzialisierung des Unternehmens wird seit den 1990er Jahren auch in Deutschland als ein bedeutsamer und an Bedeutung gewinnender Aspekt der kapitalistischen Entwicklung dingfest gemacht. Seit einiger Zeit wird allerdings verbreitet eine konzeptionelle Überdehnung des Begriffs der Finanzialisierung beklagt. Dieser wird zu unterschiedlich und oft mehrdeutig definiert und nicht klar genug von verwandt erscheinenden Begriffen abgegrenzt. Finanzialisierung wird vorschnell mit fixen Effekten verbunden, die zudem zu Stufenmodellen kapitalistischer Entwicklung verdichtet werden. Bei der Analyse der Wirkungen wird isoliert auf Finanzialsierungseffekte abgestellt, ohne Interaktionseffekte mit anderen Strukturierungen von Feldern und damit die Multirefentialität von Unternehmen zu berücksichtigen. Der Behebung dieser Mängel dient ein Vorschlag zur Analyse der Finanzialisierung des Unternehmens, der sich auf allgemeinere soziologische Konzepte der Strukturierung und Dynamik wirtschaftlicher Felder und des darin operierenden „multireferentiellen Unternehmens“ stützt. Auf dieser Grundlage werden Episoden der Finanzialisierung in Deutschland analysiert, an denen deren Dynamik und Grenzen deutlich werden. Die Finanzialisierung von Unternehmen in Deutschland ist demnach strukturell begrenzt, institutionell umkämpft und entfaltet ihre Wirkungen in unterschiedlichen Akteurskonstellationen auf der Unternehmensebene, die ihre je spezifischen Ausprägungen auch deswegen haben, weil Unternehmen multipel und unterschiedlich eingebettet sind.

Finanzialisierung; Unternehmenstheorie; Soziale Felder; Financialization; Theory of the firm; Social fields

Einleitung

Der gemeinsame Nenner wissenschaftlicher Gegenwartsdiagnosen, die unter den Begriffen Finanzialisierung, Finanzmarktkapitalismus oder auch finanzialisierter Kapitalismus firmieren, besteht in der Feststellung, dass die Bezugnahme auf Finanzmärkte und Finanzmarktakteure für die Orientierung, Begründung und Rechtfertigung wirtschaftlichen und auf die Wirtschaft bezogenen politischen Handelns in hohem Maße an Bedeutung gewonnen hat und dies mit Konsequenzen für die Strategiebildung von Unternehmen, ihre Innovationsfähigkeit, die Konturen von Arbeit, Investitionstätigkeit, Wirtschaftswachstum und soziale Ungleichheit einhergeht.

Jenseits eines solchen gemeinsamen Nenners hat die nun rund 20 Jahre dauernde wissenschaftliche Debatte zu einer problematischen „Überdehnung“ des Begriffs oder des Konzepts der Finanzialisierung geführt (Engelen [21] , S. 113). Dies geht darauf zurück, dass unterschiedliche und in ihrer Bedeutung im Zeitablauf wechselnde Gegenstandsbereiche unter der gemeinsamen Überschrift versammelt worden sind. Anfangs stand die Finanzialisierung des Unternehmens oder der Aufstieg einer Shareholder Value-Konzeption des Unternehmens im Vordergrund, die auch als „Kontroll-Finanzialisierung“ bezeichnet wurde (Deeg [13] ). Bald folgte eine eher an Makrophänomenen orientierte weitere Formulierung des Konzepts, die auf gesamtwirtschaftliche Verschiebungen von Einkommen und Profiten abhebt, die nunmehr vermehrt aus „finanziellen Kanälen“ statt aus Handel und Produktion kommen (Krippner [62] ; ähnlich: Epstein [22] ), was mit einer hypertrophen Entwicklung des gesamten Finanzsektors einhergeht. Dieser zweite Strang wurde auch „Profit-Finanzialisierung“ genannt (Deeg [13] ) und verknüpfte sich oft mit Vorstellungen von der Heraufkunft eines neuen Akkumulationsregimes (Van Der Zwan [105] ) oder Stufenvorstellungen kapitalistischer Entwicklung (Karwowski et al. [59] ), die zur „strong financialization view“ gezählt werden (Karwowski et al. [59] , S. 3). Andere wiederum interessierten sich für die Finanzialisierung des Alltagslebens (Van Der Zwan [105] ) oder die Nutzung von und Orientierung an Finanzkennzahlen in jedweden sozialen Situationen (Vollmer [97] ).1 [1] Die so aufgemachte thematische Spannweite der Finanzialisierungsforschung und die damit einhergehende disziplinäre Ausdifferenzierung führt zu unterschiedlichen Definitionen des Begriffs oder Konzepts der Finanzialisierung, unterschiedlichen Wirkungshypothesen und Verursachungsmechanismen, die alle unter dem Umbrella-Begriff Platz haben. Dadurch widersprechen sich auch empirische Aussagen zur Verbreitung und zu den Wirkungen der Finanzialisierung, ohne dass man immer klar erkennen kann, ob dies an (zeitlich oder räumlich) variierenden Wirklichkeiten oder an begrifflichen Vorentscheidungen, deren Operationalisierungen oder unterschiedlich veranschlagten kausalen Mechanismen liegt. Schon 2008 monierte Engelen ([21] , S. 113), dass der Begriff oder das Konzept der Finanzialisierung in Gefahr ist, konzeptionell überdehnt zu werden, wodurch es erst „fuzzy“ und dann zu einer „empty abstraction“ werde. Im Fortgang der Finanzialisierungsforschung ebbt diese Kritik nicht etwa ab, im Gegenteil. Eine Reihe von Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit betont, dass die Vielzahl der verwendeten Definitionen, die oftmals „nebulöse“ oder „mehrdeutige“ Definition von Finanzialisierung (Davis [9] ) dazu führen, dass empirische Aussagen zu lange diskutierten zentralen Vermutungen über Effekte der Finanzialisierung (wie etwa die These, dass die Finanzialisierung physische Investitionen unterdrückt) „increasingly unclear“ (Davis [9] , S. 4; Hervorhebung durch die Autoren) werden. Ein anderer Effekt dieser Überdehnung des Konzepts besteht darin, dass Finanzialisierung und ihre Effekte nicht mehr gut von anderen Veränderungen („-ierungen“) unterschieden werden können, namentlich Globalisierung und oftmals damit einhergehenden Restrukturierungen von großen Unternehmen oder Konzernen (Milberg [74] ; Soener [89] ; Fiebiger [34] ). Eve Chiapello ([6] ) mahnt die (oftmals mangelnde) Abgrenzung der Finanzialisierung von Prozessen der Ökonomisierung oder Monetarisierung an; Davis und Walsh ([10] ) plädieren für eine präzisere begriffliche Trennung von Finanzialisierung und Neoliberalismus. „With different meanings, the term loses its efficacy as a device for communicating ideas“, schlussfolgern Michell und Toporowski ([73] , S. 68). Eine Konsolidierung des Forschungsfeldes sieht anders aus, denn vielmehr hat die zunehmende Diversität „adversely affected the clarity and coherence of the research agenda“ (Karwowski et al. [59] , S. 2). Auch wir teilen diese Kritik: „Je größer die Projektionsfläche des Begriffs, desto unschärfer wird er aber zugleich und sein analytisches Potential schwindet“ (Faust et al. [32] ).

Die widersprüchlichen Ergebnisse zu den Wirkungen von Finanzialisierung auf eine Reihe wichtiger Effektgrößen (Innovation, Investitionstätigkeit, Beschäftigung, Arbeitsformen etc.) sind nicht nur darauf zurückzuführen, dass Finanzialisierung studienübergreifend unterschiedlich definiert und für empirische Zwecke operationalisiert wurde, sondern auch darauf, dass Wirkungsmechanismen ungenügend kontextualisiert wurden, d. h. andere ggf. konkurrierende oder modifizierende Strukturierungen von Unternehmen unberücksichtigt bleiben. Dies zeigt sich insbesondere im Ländervergleich, wenn unterschiedliche institutionelle und kulturelle Einbettungen die gedachten Wirkungen der Finanzialisierung abmildern, modifizieren oder umlenken (Faust [25] ; Gospel et al. [37] ; Karwowski et al. [59] ). Aber auch innerhalb nationaler Grenzen spielen solche Kontextualisierungen eine Rolle, die der Herausbildung „institutioneller Subsysteme“ (Deeg [12] ) oder der „Capitalist Diversity“ (Lane und Wood [64] ) innerhalb nationaler Kapitalismusmodelle Rechnung tragen. Hier kommt es zu unterschiedlichen Graden von Finanzialisierung oder lokalen „Übersetzungen“ (Goutas und Lane [38] ; Scheuplein [85] ; Lippert et al. [70] ) von Konzepten der Finanzialisierung, die gleichfalls die („rein“ gedachten) Effekte variieren.

Wir ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass es eines Konzepts der Finanzialisierung bedarf, das der geschilderten Überdehnung entgegenwirkt. Wir konzentrieren uns hier auf den unter „Kontroll-Finanzialisierung“ adressierten Gegenstandsbereich und bemühen uns in diesem Rahmen um ein Konzept von Finanzialisierung, das nicht mit möglichen Wirkungen (Innovationsschwäche, Prekarisierung, etc.) als „zwei Seiten einer Medaille“ (Dörre [20] b, S. 59) oder über ein „neues Ensemble institutioneller Entsprechungsverhältnisse“ (Haipeter [39] , S. 17) in Eins gesetzt wird, die (auch) auf andere Ursachen zurückgehen können. Hierfür und für die daran anschließende Analyse der Dynamik und der Grenzen der Finanzialisierung sowie ihrer Wirkungen kann auf allgemeinere soziologische Konzepte der Strukturierung und Dynamik wirtschaftlicher Felder (Beckert [4] ) und des darin operierenden „multireferentiellen Unternehmens“ (Faust und Kädtler [29] ) zurückgegriffen werden. Über die Analyse der multiplen Einbettung des Unternehmens erlaubt dies auch eine Bestimmung der Grenzen und Widersprüche der Finanzialisierung. Ein solches Konzept stellen wir in gebotener Kürze in Abschn. 2 vor. In Abschn. 3 nutzen wir diese konzeptionellen Überlegungen für exemplarische Skizzen der Finanzialisierung der Unternehmen in Deutschland, die deren Dynamik, aber auch widersprüchliche Entwicklung und Grenzen im Zeitablauf, verdeutlichen. Diese Skizzen zeigen zugleich gravierende Forschungslücken im Forschungsfeld, die einer theoretisch angeleiteten Bearbeitung harren. Ein knappes Fazit knüpft an diesem Forschungsstand an und diskutiert Folgerungen für die weitere Forschung.

Kontroll-Finanzialisierung - konzeptionelle Überlegungen

Der Begriff Finanzialisierung kann von seiner Entstehung her zunächst einmal als Gegenbegriff zu dem eines Finanzmarktkapitalismus (Windolf [102] b) und ähnlich geschlossenen Formationsbegriffen angesehen werden. Formationsvorstellungen gesellschaftlicher oder kapitalistischer Entwicklung gehen mit einer begründungspflichtigen aspekthaften Auszeichnung eines Merkmals oder einer „Logik“ gegenüber anderen, gleichermaßen denkbaren Merkmalen oder „Logiken“ einher. Hier gibt es immer alternative Auszeichnungen, die auch etwas für sich haben. Man denke nur an den neuerdings beliebten „digitalen Kapitalismus“. Im Fall des „Finanzmarktkapitalismus“ handelt man sich dabei die Vorstellung einer Dominanz von Finanzmärkten und/oder Finanzmarktakteuren gegenüber anderen Märkten, Subsystemen oder Organisationen ein. Und in der Tat geht die prominente Finanzmarktkapitalismusversion nach Windolf (Windolf [101] a, [102] b; vgl. kritisch Faust et al. [31] ; Kädtler [55] ) von einer eindeutigen Interessen- und Handlungslogik institutioneller Anleger und deren Ermächtigung und Fähigkeit aus, sie allen anderen Akteuren in und um Unternehmen effektiv aufzuzwingen mit dem Ergebnis einer neuen, durchgängig von Finanzmarktlogik beherrschten ökonomischen Formation.

Das von Froud et al. ([36] ) ins Spiel gebrachte Konzept von Finanzialisierung vermeidet eine solche Ableitungslogik. Sie favorisieren ein offeneres Konzept der Finanzialisierung, das erst einmal nur damit Ernst macht, dass börsennotierte Unternehmen sich nunmehr nicht nur im Wettbewerb in Produktmärkten bewegen, sondern ihre Strategien und Ergebnisse auch gegenüber Kapitalmärkten erklären und rechtfertigen müssen, sodass auch diese mit bestimmen, was erstere sagen und tun. Dieser offenen Konzeption von Finanzialisierung schließen wir uns an. Sie hat die folgenden Vorteile.

Zum einen wird der Zusammenhang zwischen Produkt- und Kapitalmärkten nicht zerrissen, sondern die Positionierungen auf Produktmärkten (ebenso Arbeitsmärkten) bleiben ein Bezugspunkt der Beobachtungen und Bewertungen durch den Kapitalmarkt und der „Narratives“, mit denen sich die Firma am Kapitalmarkt darstellt. Damit setzt sich diese Konzeption auch von Vorstellungen ab, dass die Finanzialisierung von Unternehmen an einer Verdrängung von Erlösen oder Profiten aus Handel und/oder Produktverkauf durch solche aus Finanzgeschäften festgemacht werden sollte, wie dies in Anlehnung an die weite Definition von Finanzialisierung nach Krippner ([62] ) verschiedentlich auch für Analysen der Finanzialisierung von Unternehmen erfolgt ist.2 [2] Bei Froud et al. ([36] ) ist die strategische Ausweitung der Geschäftstätigkeit auf Finanzgeschäfte (wie in den Fallstudien zu GE und Ford vorgeführt) nur eine mögliche strategische Bewegung, mit der dem Kapitalmarktdruck (auf Zeit) begegnet werden kann.

Zum anderen schließt diese doppelte Bezugnahme von Unternehmen auch die Möglichkeit aus, die Verfolgung der Zielgröße der Maximierung des Shareholder Value für das Unternehmenshandeln stringent abzuleiten, nicht zuletzt deswegen, weil die Entwicklung des Aktienkurses von Faktoren bestimmt wird, die sich von den Unternehmen nicht kontrollieren lassen. Folglich ist der „Shareholder Value“ kein „definiertes Konzept“ (Froud et al. [36] , S. 36), sondern „eine formbare soziale Rhetorik“, die von Investoren und anderen Beteiligten zu verschiedenen Bedürfnissen angeeignet und genutzt wird. Die Kriterien der Beobachtung und Bewertung von Anlegern sind unterschiedlich und wechseln im Zeitablauf:3 [3] „Demands of the shareholder value rhetoric are confusingly variable“ (Froud et al. [36] , S. 44).

Schließlich folgt daraus, dass Finanzialisierung nicht mit bestimmten fixen Effekten gleichgesetzt wird, wie etwa dem Prinzipienwechsel von vormals „Retain and Invest“ zu „Downsize and Distribute“, wie von Lazonick und O’Sullivan ([68] ) angenommen. Kapitalmarktdruck führt nicht zu „one invariant set of consequences in terms of firm performance or management behaviour“ (Froud et al. [36] , S. 7). Die Effekte sind vielmehr „conjunctural, contradictory, and non-totalising“ (Savage und Williams [83] , S. 8). Vermutete Effekte, wie Innovations- und Wachstumsschwäche oder Prekarisierung (Dörre [19] a, [20] b; Brinkmann und Dörre [5] ), müssen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Grade der Finanzialisierung und unterschiedlicher Kontexte empirisch als raum-/zeitlich gebundene Phänomene analysiert werden und sollen nicht formationsgebunden unterstellt werden.

Damit sind auch die Gesichtspunkte angesprochen, bei denen unser eigener Ansatz, den wir an anderer Stelle ausführlich dargelegt haben (Faust und Kädtler [29] ), über das von Froud et al. ([36] ) vorgeschlagene Konzept hinausgehen. Während diese stillschweigend davon ausgehen, dass die zu untersuchenden Finanzialisierungsprozesse in einem institutionellen Setting vonstattengehen, das durch Börsennotierung, eine aktionärsfreundliche Corporate Governance und Finanzinvestoren als dominante neue Eigentümergruppe gekennzeichnet ist, schlagen wir vor, Finanzialisierung mehrdimensional zu definieren und unterschiedliche Grade der Finanzialisierung zuzulassen.

Dafür greifen wir auf zwei allgemeinere soziologische Konzepte zurück: auf ein handlungstheoretisch fundiertes Feldkonzept im Anschluss an Jens Beckert ([4] ) sowie auf das Konzept des „multireferenziellen Unternehmens“, das auf pragmatische Weise von verschiedenen organisationssoziologischen Konzepten Gebrauch macht.

In diesem Feldkonzept haben drei soziale Makrostrukturen Einfluss auf das wirtschaftliche Handeln: Institutionen, die Regeln (Streeck und Thelen [95] ) oder Rationalitätskritierien (Lepsius [69] ) für Akteure bereit stellen und verbindlich machen, soziale Netzwerke, die die relationalen und strukturellen Einbettungen von Akteuren abbilden, und für die wir deshalb auch „Akteurskonstellationen“ synonym verwenden sowie „cognitive frameworks“, die sowohl „Leitideen“ (Lepsius [69] ) und „Konventionen“ (Diaz-Bone [17] ; Kädtler [54] ) als Erklärungs- und Begründungsordnungen von Handlungen und Institutionen als auch normativ oder kognitiv stilisierte Handlungskonzepte bereit stellen.

In der konkreten Handlungssituation wirken die jeweiligen Strukturierungen immer unter der Maßgabe der jeweils anderen, also in Ergänzungsverhältnissen. So werden Leitideen in dem Maße wirksam, wie sie im jeweiligen Handlungsfeld Trägergruppen finden und/oder ihre Orientierungen institutionalisiert, d. h. über „Rationalitätskriterien“ (Lepsius [69] ) spezifiziert und verhaltenswirksam gemacht werden. Die Handlungsbedingungen eines positionierten Akteurs werden im Lichte von verfügbaren und autorisierten kognitiven Rahmungen interpretiert. Institutionelle Regeln werden im Lichte von kulturellen Hintergrundannahmen in situ interpretiert und angewendet, ihre Verhaltenswirksamkeit im Lichte struktureller Einbettung abgewogen. Auch die Handlungsmöglichkeiten von Akteuren in Netzwerkpositionen erschließen sich erst unter Berücksichtigung von institutionellen Regeln, die bestimmten Positionen Autorität verleihen und Rechte und Verpflichtungen auferlegen.

Keine dieser Strukturierungen ist somit handlungsdeterminierend gedacht und auch eine Hyperdetermination durch die gleichgerichtete Wirkung aller strukturellen Elemente ist ausgeschlossen. Vielmehr ergibt sich gerade durch die Mehrfachstrukturierung von Feldern die Möglichkeit ihrer dynamischen Veränderung, weil Akteure sich auf jede dieser Strukturen beziehen können, um für sich vorteilhafte Änderungen herbeizuführen. So können zum Beispiel neue kognitive Rahmungen genutzt werden, um bisherige institutionelle Regeln zu delegitimieren und eventuell Regelveränderungen herbeizuführen, oder aber auch nur, um die Regelanwendung bei unveränderter Regelsetzung zu modifizieren, etwa im Modus graduellen, aber dennoch transformativen Wandels, wie von Streeck und Thelen (2005) vorgeschlagen.

Auf dieser Grundlage lässt sich die Finanzialisierung des Unternehmens im Hinblick auf die drei Makrostrukturen definieren.

Finanzialisierung bedeutet in der Netzwerk-Dimension die Veränderung von Strukturen des Eigentums und der Unternehmensaufsicht, die mit einem wachsenden Einfluss „neuer Eigentümer“, d. h. von organisierten und professionell agierenden Finanzinvestoren, zu Lasten bisheriger Aktionäre einhergeht. Letztere galten entweder als einflussreich, aber „geduldig“ (Banken, Versicherungen, Familien, andere Unternehmen) und dominierten auch die Aufsichtsgremien, oder als passiv, vereinzelt und einflusslos (Privataktionäre). Unterschiedliche Grade der Finanzialisierung in dieser Dimension lassen sich an typischen Akteurskonstellationen festmachen, deren Fluchtpunkt nach übereinstimmender Lesart dieser Veränderungen das „verwundbare“, börsennotierte Unternehmen in institutionellem Streubesitz darstellt (Faust und Thamm [30] ).

Finanzialisierung bedeutet in institutioneller Hinsicht die Etablierung neuer Regeln für Unternehmen und Finanzmärkte, die die Rechte und den Einfluss von (heutzutage organisierten) Minderheitsaktionären gegenüber dem Management, anderen Eigentümergruppen, Gläubigern und/oder Arbeitnehmern stärken.

In kognitiv-kultureller Hinsicht lässt sich Finanzialisierung am Wandel der Leitideen der Unternehmensführung und -aufsicht festmachen, der zugleich das Rüstzeug für die Reformen auf institutioneller Ebene bereit stellt als auch die Akteure auf der Unternehmensebene mit neuen Rechtfertigungs- und Begründungsordnungen ausstattet. Dieser Wandel kann sich auf den Aufstieg neuer Theorien und Heuristiken (Finanzökonomie) in den einschlägigen Wissenschaften stützen, die auch für die Bewertungen von Firmen an der Börse in Anschlag gebracht werden (Berechnung von Kapitalkosten, Discounted Cash Flow). Die Veränderungen der kognitiven Rahmungen beziehen sich aber nicht nur auf den Aufstieg normativ ausgerichteter Legitimationstheorien, wie etwa die Agenturtheorie des Unternehmens, die begründet, warum den „residualen Einkommensbeziehern“, den Aktionären auch die residualen Kontrollrechte zukommen und warum die Belohnungssysteme des Managements in erster Linie mit Aktionärsinteressen in Einklang gebracht werden sollen (Lazonick [67] ; Stout [91] ). Es entwickelt sich auch ein von Wissenschaft und Beratung zur Verfügung gestelltes Rezeptwissen, wie eine Shareholder-Value-Orientierung organisatorisch gestaltet werden soll und welche strategischen Orientierungen favorisiert werden (etwa Konzentration auf Kerngeschäfte; Narrative für die equity-story).4 [4]

Die Strukturierung von Feldern kann nun so erfolgen, dass sich die Finanzialisierung in allen drei Dimensionen ergänzt und bestärkt; dies soll aber nur als ein denkbarer Fall einer idealtypischen Verwirklichung angesehen werden, wie sie in den Formationstheorien als Fluchtpunkt vorgesehen ist. Für Realanalysen sind aber unterschiedliche Grade der Finanzialisierung in jeder Dimension vorzusehen, für die jeweils geeignete Messkonzepte zu entwickeln sind (vgl. Faust und Thamm [30] ). Dies kann auch bedeuten, dass die Finanzialisierung in den drei Dimensionen auch unabhängig voneinander variieren kann. Dies schließt Fälle ein, in denen Unternehmen kapitalmarktorientierte Bewertungen vornehmen oder Managementkonzepte verwenden, auch wenn in der jeweiligen Konstellation keine Börsennotierung vorliegt und somit Finanzinvestoren nicht unmittelbar ihre Stimme erheben.5 [5]

Unterschiedliche Grade der Finanzialisierung vorzusehen schließt auch ein, dass die Finanzialisierung eines Unternehmens oder einer größeren Untersuchungseinheit (Feld, nationale Wirtschaft) im Zeitablauf in beide Richtungen variabel sein kann. Der Prozess der Finanzialisierung kann ins Stocken geraten, wenn der Geltungskontext veränderter institutioneller Regeln begrenzt bleibt, andere Leitideen wieder an Einfluss gewinnen und sich dadurch das Machtgefüge der Einflussgruppen verschiebt oder gar umgekehrt werden, etwa wenn Regeländerungen auf Widerstand stoßen und korrigiert werden oder die Vorteile „geduldigen Kapitals“ wiederentdeckt werden. Kurzum: Auch De-Finanzialisierung soll möglich sein.

Schließlich gilt auch für die Finanzialisierung des Unternehmens, dass es sich um eine aspekthafte Auszeichnung handelt. Auf der Ebene des Unternehmens sind und bleiben unvermeidlich in allen drei Dimensionen verschiedene Strukturierungen wirksam. Unternehmen agieren in Produkt‑, Beschaffungs‑, Arbeits- und Kapitalmärkten und sind so schon verschiedenen Anspruchsgruppen sowie den jeweils gültigen institutionellen Regeln ausgesetzt. Diese prinzipielle, in ihrer konkreten Ausprägung aber raum-zeitlich variable Multireferentialität gilt auch für die kognitiv-kulturelle Rahmung: „Ungeachtet ihres umfassenden Geltungsanspruches bleibt Finanzmarktrationalität auf der Ebene von (Nichtfinanz‑)Unternehmen eine bedingte Rationalität unter anderen“ (Kädtler [53] b, S. 14).6 [6] Somit können Unternehmen in unterschiedlichen Graden finanzialisiert, aber nicht nur finanzialisiert sein (Faust und Kädtler [29] ). Wie diese Verschiebungen und Neujustierungen im Einzelnen aussehen und was sie bewirken, das bleibt der empirischen Analyse überantwortet, die nach typischen Konstellationen und deren Effekten sucht.

Die Finanzialisierung der Unternehmen in Deutschland - Dynamiken, Widersprüche und ...

Gesellschaftliche Makrostrukturen determinieren die Entwicklung von Unternehmen nicht, sie bilden vielmehr die Koordinaten für deren Strategiewahl (Child [7] ). Finanzialisierung von Unternehmen stellt sich im Rahmen unseres Ansatzes dar als das Ergebnis von Entwicklungen des Koordinatensystems aus Leitbildern und institutionellen Rahmungen, auf die Unternehmen sich bei ihrer Strategiewahl beziehen, und Akteurskonstellationen, die bei dieser Strategiewahl zum Tragen kommen. Diese Entwicklungen folgen jeweils eigenen Logiken, sie kennen jeweils nicht nur eine Richtung, und sie sind umkämpft. Wir werden diese Entwicklungen für den deutschen Fall im Folgenden für die drei Dimensionen episodisch präsentieren.

Finanzmarktrationalität: eine wirkmächtige neue kognitiv-kulturelle Orientierung ...

In der kognitiv-kulturellen Dimension wird die Agenturtheorie des Unternehmens (Jensen und Meckling [50] ) in der Literatur unstrittig zu den Leitideen der Finanzialisierung gezählt (Chiapello [6] ; Faust [25] ; Lazonick [67] ; Stout [91] ). Sie ist Grundlage für die Bewertung und Beeinflussung von Unternehmen durch Kapitalmarktakteure und für die Strategiebildung des Managements sowie für institutionelle Reformen der Unternehmensordnung durch politische Akteure.

Ihr Aufstieg von einer esoterischen Nische im akademischen Milieu der 1970er Jahre zur zentralen Legitimationstheorie der Vorrangstellung der Shareholder muss als historisches Ereignis (event) im Sinne Sewells ([88] , S. 101-103) begriffen werden, d. h. als Resultat aus dem kontingenten Zusammentreffen von Entwicklungen, die jeweils aus gegebenen sozialen Strukturen heraus erklärbar sind. Sie vollzieht sich zuerst in den USA. Zu der großen Bedeutung von Pensionsfonds in den USA und der allgemeinen Aufwertung der Finanzfunktion und ihrer Träger im Management der Unternehmen seit der Aufgabe des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods kamen dort eine Reihe weiterer Entwicklungen zur Geltung, die im kontingenten Zusammenspiel zu diesem Ergebnis führten: die theoretische und empirische Neufundierung der mathematischen Finanzökonomie, nicht zuletzt unter Rückgriff auf umfassende Datenbestände und Rechnerkapazitäten (MacKenzie [72] ), die Skandalierung hoher Managementgehälter bei sinkenden Unternehmens- und Pensionsfondserträgen als Auslöser für eine Shareholderbewegung, die in der Reagan-Administration auf positive Resonanz traf (Davis und Thompson [11] ), die Neuordnung der institutionellen Handlungsbedingungen für Pensionsfonds durch Rechtsprechung und Gesetzgebung mit der Konsequenz, dass diese institutionellen Investoren zu Global Playern mutieren konnten, die sich allein am finanzökonomischen state of the art orientieren konnten und sollten (Lavigne [66] ; Ravikoff und Curzan [81] ).

Als die Finanzialisierung in den 1990er Jahren in Deutschland Fahrt aufnimmt, sind es vor allem die schon vorhandenen transnationalen Kanäle, über die das neue Wissen und die Dringlichkeit, sich daran zu orientieren, vermittelt werden, nämlich Manager transnationaler Unternehmen, Managementberater, Business Schools und Universitäten und eine zunehmend transnationale Wirtschaftspresse (Faust [24] ). So preisen die McKinsey-Berater Tom Copeland, Tim Koller und Jack Murrin das System nach „US-Vorbild, das auf der Maximierung des Unternehmenswertes beruht und eine breite Fremd- und Eigenkapitalbeteiligung sowie einen offenen Markt für Verfügungsrechte an Unternehmen mit sich bringt“ (Copeland et al. [8] , S. 35), um dann für die deutschen Manager die (wohlgemeinte) Drohung nachzuschieben, dass „Länder, deren Wirtschaftssystem nicht auf der Maximierung des Unternehmenswerts beruht, deren Anlegern geringere Kapitalrenditen gewähren als andere Nationen, dann […] durch die fortschreitende Globalisierung der Kapitalmärkte zunehmend an Kapitalmangel leiden und im internationalen Wettbewerb immer weiter zurückfallen [werden]“ (Copeland et al. [8] , S. 35). Die neuen Ideen wurden vielfach mit großer Vehemenz vorgetragen, nahezu alle großen Managementberatungen angelsächsischen Ursprungs (Froud et al. [36] ) hatten ähnliche Konzepte im Angebot wie die oben zitierten McKinsey-Berater, mit denen sie in den Vorstandsetagen hausieren gingen.

Auch in den einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen in Deutschland setzte eine Umorientierung ein. 1994 erschien der US-Klassiker „Creating Shareholder Value“ von Rappaport ([80] ) erstmals auf Deutsch. Eine Flut von Lehrbüchern zur „wertorientieren Unternehmensführung“ folgte (Faust et al. [31] ). Innerhalb der funktional oder fachlich differenzierten BWL maßt sich die Finanzökonomie nun vermehrt eine Führungsrolle an. Nach ihrer Vorstellung ist das Finanzressort nun der legitime Sachverwalter der übergeordneten Unternehmensziele, während die anderen Ressorts ihre „Wertorientierung“ erst noch nachweisen müssen.

So sieht Wagner ([99] ) als Exponent der finanzökonomischen Perspektive die Zeit gekommen, mit den nur an partikularen Rationalitäten orientierten anderen Fachrichtungen wie der Personalwirtschaft oder dem Marketing aufzuräumen. In diesen Teildisziplinen sei es untypisch, die Vorteilhaftigkeit von Entscheidungen in mehrperiodigen, zahlungsbezogenen Maßausdrücken zu formulieren (Wagner [99] , S. 487). Zudem würde hier über Handlungsalternativen „nicht nach Maßgabe aufwendiger Totalmodelle entschieden“, sondern bereichsspezifische Zielsetzungen entwickelt. Je schwieriger die Quantifizierung der Einkommenseffekte sei, desto weniger dringlich würde die Notwendigkeit des Nachdenkens über die gedankliche Ordnung finanzieller Ziele empfunden. „Gerade ihr Partialcharakter erlaubt deshalb Teildisziplinen der Betriebswirtschaftslehre die Vorstellung, sie seien zu ‚autonomer‘ Planung in der Lage und würden von Kontrollmechanismen der Kapitalmärkte nicht gesteuert“ (Wagner [99] , S. 487). Damit müsse nun Schluss sein. Auch das Personalwesen müsse zur Kenntnis nehmen, dass letztlich die Kapitalmärkte über das Wohl und Wehe des Unternehmens entscheiden. Deren Belange müssten deshalb im Mittelpunkt unternehmerischen wie personalwirtschaftlichen Handelns stehen. Dem sei bisher jedoch nicht so. Vielmehr empfinde die Personalwirtschaft „die Belange der Mitarbeiter als nahe und Kapitalmärkte als eher fern […], weshalb man die ‚Humanisierung‘ des Arbeitslebens in personalpolitischen Zielkatalogen häufiger findet als die Förderung einer am Shareholder Value orientierten Personalpolitik“ (Wagner [99] , S. 488). Im Mittelpunkt auch des personalwirtschaftlichen Handelns müssten die Interessen der Eigentümer als Prinzipale stehen, Interessen anderer Gruppen seien denen unterzuordnen und flößen nur als Nebenbedingung in die Zielfunktion ein.

Aber auch zu den Hochzeiten der Agenturtheorie, als aus den finanzökonomischen Grundlagen (Jensen und Meckling [50] ; Fama [23] ) die praktischen Managementkonzepte abgeleitet wurden (Rappaport [80] ), bleibt es in der US-dominierten Managementlehre bei einem Ideen- und Konzeptstreit zwischen der Shareholder Value Doktrin und dem konkurrierenden „Stakeholder Approach“ (Freeman [35] ; Donaldson und Preston [18] ). Dem dann später auch in der deutschen Betriebswirtschaftslehre angemeldeten Vorranganspruch der finanzökonomischen Perspektive steht nun keineswegs die totale Unterwerfung der anderen Teildisziplinen und ihrer Wissensansprüche gegenüber. Während ein Teil der Personalwirtschaftslehre sich zumindest rhetorisch unterordnet und die bisher schon gehandelten Konzepte als nunmehr „wertorientierte“ Personalpolitik ausflaggt, trifft dies doch keineswegs auf die gesamte Personalwirtschaft zu; auch unter der Überschrift der „Wertorientierung“ finden sich stakeholder-orientierte Ansätze, die sich von einer Shareholder-Value-Orientierung dezidiert absetzen (Arbeitsgemeinschaft Engere Mitarbeiter Der Arbeitsdirektoren Fachausschuss 1/01 [2] ).7 [7] Auch im Controlling, einer Teildisziplin der Betriebswirtschafslehre (BWL), die der Shareholder-Value-Doktrin besonders zugeneigt erscheint und eine Vielzahl von praktikerorientierten Handreichungen hervorbringt (Schierenbeck und Lister [86] ), konkurrieren weiterhin unterschiedliche Controlling-Konzepte und „unternehmenswertorientierte“ Ansätze haben keine Priorität (Scherm und Pietsch [84] ). So erzeugt im gleichen Zeitraum, in dem die „Wertorientierung“ an Bedeutung gewinnt, auch die „Balanced Scorecard“ (Kaplan und Norton [58] ) als Managementkonzept erhebliche Resonanz. Sie wurde von den Autoren als Korrekturkonzept zu einer einseitigen Finanzorientierung konzipiert und von Jensen als „managerial equivalent of stakeholder theory“ und damit als Abirrung von der richtigen Lehre ausdrücklich kritisiert (Jensen [49] , S. 235).

Finanzmarktrationalität und die Strategiebildung von Unternehmen am Beispiel der ...

Ein offensichtlich kapitalmarktorientiertes Bewertungskriterium für Unternehmen ist der „Abschlag“ für Konglomerate (diversifizierte Mischkonzerne) und die Vorliebe für Unternehmen, die sich auf einzelne Industrien fokussieren („Konzentration auf Kerngeschäfte“). Hierfür gibt es zwei unterschiedliche an Finanzmarktrationalität orientierte Begründungen. Zum einen bevorzugen Analysten aus Gründen der Komplexitätsreduktion fokussierte Unternehmen, weil sie diese besser vergleichend bewerten können und so bei Ergebnisvorhersagen weniger häufig falsch zu liegen hoffen. Aus diesen Gründen vergeben sie den „conglomerate discount“ (Zuckerman [104] ), der von den Praktikern der Unternehmensbewertung als Risikozuschlag verstanden wird (Faust und Bahnmüller [28] ; Faust et al. [31] ). Zum anderen beanspruchen institutionelle Investoren das Recht, ihr Portfolio selbst zu diversifizieren, d. h. auf unterschiedliche Industrien zu verteilen. Dies sprechen sie dem Management ab, versehen Abweichler mit einem Bewertungsabschlag und sprechen sich gegen jede Art von „Quersubventionierung“ aus (Höpner [45] ). Aus diesen Gründen kann es das Management vorziehen, einen solchen Bewertungsabschlag zu vermeiden, indem es das Unternehmen de-diversifiziert, selbst dann, wenn dadurch (extern nicht zu plausibilisierende) Synergien zwischen Geschäftsfeldern verloren gehen. Unternehmensfallstudien (Faust et al. [31] , S. 119-130; siehe auch Höpner [44] ) zeigen, dass Fondsmanager und Analysten auf das Management von diversifizierten Unternehmen erheblichen Druck ausüben, nach gängigen Industrieabgrenzungen nicht zum Kern gehörende Unternehmensteile zu verkaufen, zumal dann, wenn sie weniger profitabel sind als der Kern. Was aber mit welchen Begründungen zum Kern gehört, welche Vorteile (Synergien der Technologienutzung oder der globalen Markterschließung) Industrien übergreifende Unternehmen dennoch haben können, ist zwischen Unternehmen und Kapitalmarktakteuren oft strittig. Das Management kann für die Beibehaltung von Diversifizierung die unternehmerische Absicherung gegenüber Marktschwankungen in einzelnen Geschäftsfeldern geltend machen. Hierfür findet es Verbündete bei kreditgebenden Banken und unter anders orientierten Kapitalmarktakteuren, den Bondholdern, die weniger an der Steigerung oder Hebung von „Unternehmenswert“, sondern an der Sicherheit der laufenden Zinszahlung und der Rückzahlung der Kredite interessiert sind (vgl. Faust [27] ). Rating-Lehrbücher bewerten Unternehmen, die Risiken auf verschiedene Kundenbeziehungen, Geschäftsbereiche und Regionen verteilen können, besser als fokussierte (Hiß und Nagel [42] ). Mit Mitbestimmungsrechten ausgestattete Arbeitnehmervertretungen nehmen auf die diesbezüglichen Entscheidungen ebenfalls Einfluss. Sie orientieren sich hierbei vornehmlich an den Beschäftigungsinteressen der Belegschaften, was ein generelles Interesse an der Stabilität des Gesamtunternehmens einschließt. Die Verfolgung von Beschäftigteninteressen schließt nicht unbedingt jegliche Fokussierung aus, verbindet dies aber im Mitbestimmungsprozess mit der Forderung nach beschäftigungssichernden Vereinbarungen für die zu verkaufenden Unternehmensteile (Faust et al. [31] , S. 319-393; siehe auch Höpner [44] ). Insbesondere Unternehmen im Streubesitz können unter Druck kommen, den Fokussierungsforderungen nachzukommen. Hier kann eine feindliche Übernahme nicht ausgeschlossen werden, die unter einem neuen Management die (vermuteten) Bewertungsreserven hebt. Auch starten aktivistische Hedgefonds Kampagnen mit der Forderung, Unternehmensteile zu verkaufen, die nicht zum Kern gehören. Von solchen Ankündigungen versprechen sie sich kurzfristig mitnehmbare Kursteigerungen (Kahan und Rock [57] ; Becht et al. [3] ). Unternehmen mit „geduldigem Kapital“, die gegen feindliche Übernahmen und Hedgefondsaktivismus geschützt und nicht auf den aktuellen Börsenwert fixiert sind, haben die Möglichkeit, sich von solchen Kapitalmarktbewertungen unabhängig zu machen und nach längerfristigen Gesichtspunkten industrieller Wettbewerbsfähigkeit ihre strategische Positionierung zu wählen (Faust [27] ).

Über Fallstudienevidenz hinaus zeigt die Studie von Nicolai und Thomas ([77] ) für den Zeitraum von 1988 bis 2002, dass es unter den deutschen börsennotierten Unternehmen tatsächlich eine beeindruckende Welle der De-Diversifizierung gegeben hat. Sie erfolgt ungefähr 10 Jahre später als vergleichbare Entwicklungen in den USA und umfasst für den gesamten Zeitraum 203 Fälle. Ab Mitte der 1990er Jahre steigt die Anzahl der Fälle deutlich an und erreicht 2000 einen Höhepunkt von 38 Fällen, um danach bis zum letzten Messpunkt von 2002 (16 Fälle) wieder abzufallen.8 [8] Dies steht im Einklang mit den zeitlichen Annahmen über die Veränderungen der Eigentümerstruktur und der Corporate Governance, die gesteigerten Kapitalmarktdruck ermöglichen (s. unten). Dies spricht für die Wirksamkeit dieses Kapitalmarktimperativs und der Mechanismen, die eine Verwirklichung nahe legen. Ob aber alle erfassten De-Diversifizierungen auf Kapitalmarktdruck zurückzuführen sind, ist damit nicht ausgemacht, worauf auch hindeutet, dass die eigentlich zu erwartenden (übernormal) positiven Kapitalmarktreaktionen auf Ankündigungen nur schwach ausfallen (Nicolai und Thomas [77] ).

Und in der Tat zeigen Fallstudien (Faust et al. [31] ), dass auch andere als kapitalmarktorientierte Begründungen für die Fokussierung von Unternehmen wirksam sind, die zeitgleich mit dem Bedeutungsgewinn der Kapitalmärkte im Zuge der Herstellung des Gemeinsamen Europäischen Binnenmarktes und der darüber hinaus reichenden „Globalisierung“ an Bedeutung gewannen. Unter diesen Bedingungen konnte es für Unternehmen nahe liegen, vermehrt in „Kerngeschäfte“ zu investieren und dort Skaleneffekte zu realisieren, indem man erweiterte Absatzmärkte im Ausland zu erobern suchte, während man die finanziellen Mittel für die Stärkung und das Wachstum des Kerngeschäftes aus dem Verkauf von anderen Geschäftsbereichen zu erzielen hoffte.9 [9] So konnte es für Fokussierungsstrategien sowohl in einer Finanzmarktkonvention als auch in einer industriellen oder in einer Marktkonvention Begründungen geben und Manager konnten je nach Kontext und Situation auf unterschiedliche Begründungsordnungen für ein und dieselbe Entscheidung rekurrieren.

Auch Nicolai und Thomas ([77] ) bieten hierfür Belege an. Sie zeigen, dass die Verlaufskurve der De-Diversifizierung mit der Aufmerksamkeitskurve der Managementmode „Konzentration auf Kernkompetenzen“ zusammenfällt, sodass womöglich auch andere, nur ähnlich klingende Managementkonzepte, die sich an industrieller Wettbewerbsfähigkeit orientieren, während dieser Zeit wirksam geworden sind, während der Kapitalmarktdruck unter den deutschen Bedingungen eines wenig entwickelten Marktes für Unternehmenskontrolle als Treiber der Entwicklung weniger bedeutsam gewesen sein mag (Nicolai und Thomas [77] , S. 58)10 [10]. Dies würde bedeuten, dass die durch die Agenturtheorie des Unternehmens unveränderlich gesetzte Orientierung der Kapitalmarktakteure an fokussierten Unternehmen tatsächlich eher veränderlich gedacht werden muss. Wenn die (verwandte) Managementmode der Fokussierung auf Kernkompetenzen wieder abflaut und im Managementdiskurs die Gefahren einer zu engen Fokussierung herausgestellt werden (Nicolai und Thomas [77] , S. 71), könnte dies auch auf die Bewertungen von Unternehmensstrategien durch Analysten und Fondsmanager abfärben, die man sich nicht als strikte Exekutoren einer wissenschaftlichen Theorie, sondern als pragmatische Akteure vorstellen muss, die sich bemühen, mit ihren Bewertungen und Anlageentscheidungen möglichst nicht allzu oft falsch zu liegen und sich dabei orientierend und rechtfertigend auf verschiedene Begründungen und Erklärungen beziehen können.

In Bezug auf die Wirkung kognitiver Rahmungen, die wir mit Finanzialisierung identifizieren, lassen sich mit Blick auf das gewählte Beispiel (Fokussierung) die folgenden drei Erkenntnisse festhalten:

In welcher Ausprägung und in welchem Maße in der Praxis der Kapitalmarktimperativ der „Konzentration auf Kerngeschäfte“ wirksam wird, hängt von den unternehmensindividuellen Akteurskonstellationen ab, namentlich dem Einfluss anderer Eigentümergruppen, von Arbeitnehmervertretungen und Fremdkapitalgebern, die in unterschiedlicher Weise an der Stabilität des Gesamtgebildes interessiert sind. Wer davon in welcher Weise Einfluss nehmen kann, ist rückgebunden an die institutionellen Regeln, die die Rechte und Pflichten der Akteure festlegen und damit auch die kulturspezifischen Leitideen, wem das Unternehmen dienen soll, in (oft) national unterschiedlicher Weise spezifizieren (s. unten). Kurzum: Die praktisch wirksamen Effekte variieren trotz allgemeiner wirksamer neuer kognitiver Rahmungen, die Finanzialisierung ausdrücken.

Für die tatsächlich erfolgende Fokussierung von Unternehmen gibt es über die Erklärung hinaus, die auf Kapitalmarktdruck und eine spezifische Kapitalmarktrationalität rekurriert, andere Erklärungen und Begründungen. Veränderungen der Marktordnungen der Produktmärkte (Europäischer Binnenmarkt, EU-Erweiterung, generell güterwirtschaftliche Globalisierung) ebenso wie veränderliche Managementkonzepte oder -moden, die sich auf die Wettbewerbspositionen von Firmen in Produktmärkten (firm-in-industry) beziehen, können ebenfalls eine Fokussierung von Unternehmen nahelegen. Das bedeutet, dass auch Unternehmen, die keinem diesbezüglichen Kapitalmarktdruck ausgesetzt sind, Fokussierung wählen können. Kurzum: Ähnliche Effekte müssen nicht auf eine gemeinsame und alleinige Ursache zurückgeführt werden.

Schließlich orientieren sich die konkreten Akteure (Fondsmanager und Analysten), die den Kapitalmarkt gegenüber den Unternehmen repräsentieren, zwar an der Agenturtheorie des Unternehmens und machen sich daraus abgeleitete Imperative (Fokussierung) zu eigen, die bei der Bewertung und Beeinflussung der Unternehmen zum Tragen kommen (Faust und Bahnmüller [28] ). Sie sind aber keine bloßen Exekutoren einer Legitimationstheorie, sondern pragmatische und lernfähige Akteure, die sich in wechselnden Kontexten einen Reim darauf machen müssen, wie Unternehmen in Produktmärkten erfolgreich sein können. Dadurch variieren die Kapitalmarkterwartungen an Unternehmen und werden die „demands of the shareholder value rhetoric […] confusingly variable“ (Froud et al. [36] , S. 44). Da zudem Kreditoren zur gleichen Zeit diesbezüglich andere Erwartungen kommunizieren, wachsen die Möglichkeiten des Managements und anderer Stakeholder der Fokussierung zu widersprechen. Eine mehrstimmige externe Koalition verlagert Macht in die interne Koalition (Mintzberg [75] ).

Ideenwandel und seine unvollständige Institutionalisierung: Stärkung der ...

Die Agenturtheorie des Unternehmens und ihre popularisierten Varianten lieferten auch den Ideenhorizont für institutionelle Reformen, die in Deutschland schrittweise seit Mitte der 1990er Jahre durchgesetzt wurden. Erklärtes Ziel dieser Reformen war die Auflösung der Deutschland AG und die Beseitigung mit dieser tatsächlich oder vermeintlich verbundener Innovationsblockaden am Standort Deutschland sowie die Erschließung erweiterter Finanzierungsmöglichkeiten für entsprechende Investitionsstrategien deutscher Unternehmen durch verstärkte Integration in die globalen Finanzmärkte (Hein und Van Treeck [40] ). Darüber hinaus stand der Ausbau einer dritten, kapitalgedeckten Säule im Zentrum der Reform der Alterssicherung, die damit strategisch auf dynamische Finanzmärkte abstellte. Auf dieser Linie lagen ganz allgemein die Stärkung der Rechte der Minderheitsaktionäre gegenüber Insidern, die Erweiterung und Neuausrichtung der Publizitäts- und Transparenzverpflichtungen der Unternehmen, die Ermöglichung von Aktienoptionen als am Kapitalmarkterfolg orientierte variable Vergütung von Vorständen, die Ermöglichung von Aktienrückkäufen zur Kursstabilisierung im Interesse der vorhanden Aktionäre und die Durchsetzung von Übernahmeregeln, die dem Management enge Grenzen setzen, sich gegen feindliche Übernahmen zu wehren (Höpner [44] ; Jackson und Sorge [48] ; Faust [26] ). Dies bedeutet, dass zentrale Regelungen für die Durchsetzung eines disziplinierenden „Marktes für Unternehmenskontrolle“ und der Interessenharmonisierung von Aktionären und Vorständen verwirklicht wurden, wie es die Agenturtheorie in ihren Empfehlungen vorsieht. Nach einer Welle von Reformen kann Deutschland in mancher Hinsicht als Musterknabe einer aktionärsfreundlichen Corporate Governance gelten, etwa in Bezug auf die Durchsetzung des Prinzips „One Share, one Vote“ oder in Bezug auf die „Takeover-Regeln“ (Jackson und Sorge [48] ), die in den USA mit den sogenannten „poison pills“ dem Management erheblich mehr Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stellen (Jackson [47] ).

Die Agenturtheorie lieferte zugleich eine neue oder neu akzentuierte Begründung für die in Unternehmer- und Managerkreisen, gerade auch in Familienunternehmen, verbreitete Ablehnung der Unternehmensmitbestimmung. Die Inhaber der (nur) „residualen Einkommensansprüche“ (Shareholder) müssten auch die „residualen Kontrollrechte“ haben, so lautet das neue Mantra (Schmid und Seger [87] ). Internationale Investoren würden abgeschreckt, weil sie mit höheren Kapitalkosten rechnen müssten, mit entsprechend negativen Folgen für die Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland. Angesichts des Dauerfeuers der Spitzenverbände der Wirtschaft, gestützt von Teilen der Politik und Stimmen aus der Wissenschaft, konnte man zu Beginn des neuen Jahrzehnts nicht sicher sein, dass die Mitbestimmung in ihrem Kern unangetastet bleiben würde (Lane [63] ). Andere „kapitalmarktfreundliche“ institutionelle Reformen waren ja auch schon auf den Weg gebracht worden und weitere standen auf der Agenda. Allerdings beherrschten die radikalen Mitbestimmungskritiker aus den Wirtschaftsverbänden nicht allein die Debatte. Für die Gewerkschaften war jegliche Einschränkung der Mitbestimmung nicht verhandelbar. Und die rot-grüne Bundesregierung war zwar mit diversen aktionärsfreundlichen Kapitalmarkt- und Corporate-Governance-Reformen dem neuen Credo gefolgt, hatte dabei aber immer an der deutschen Mitbestimmung und anderen Besonderheiten der Corporate Governance festgehalten. Der gescheiterte Versuch von CDU/CSU und FDP, mit einem neoliberalen Programm Mehrheiten im deutschen Bundestag zu erringen, trug schließlich zu einer Neujustierung der Debattenlage bei. Die neue Große Koalition machte sich die Grundgedanken der wissenschaftlichen Vertreter der Mitbestimmungskommission (Streeck und Höpner [94] ) zu eigen, die allenfalls moderate Veränderungen oder Anpassungen der Mitbestimmung für notwendig hielten. Die Mitbestimmung besteht somit trotz aktionärsfreundlicher Reformen als „fremdes“, potenziell widerständiges institutionelles Element in der politischen Ökonomie Deutschlands fort (Jürgens et al. [51] ; Vitols [96] ). Es bleibt bei der pluralistischen Unternehmensverfassung, wie sie im Aktiengesetz verankert ist. Shareholder-Vorrechte sind hier nicht vorgesehen und sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat werden auf das „nachhaltige“ Gedeihen des Unternehmens verpflichtet, das sie in Abwägung der Interessen aller relevanten Anspruchsgruppen fördern sollen. So sind auch die Bestimmungen des in dieser Zeit entstandenen Corporate-Governance-Kodex (CGK) zwar in vielerlei Hinsicht Ausdruck der neuen Orientierungen am Aktionärsinteresse; im Kern definiert aber auch der Kodex ein pluralistisches Unternehmenskonzept, das im Hinblick auf die Aufgaben des Vorstands deutlicher noch als das Aktienrecht ein Stakeholdermodell favorisiert: „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung“ (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance-Kodex [82] , S. 5-6). Auch die Aufsichtsräte, einschließlich der Vertreter der Anteilseigner, werden auf das so definierte „Unternehmensinteresse“ verpflichtet und nicht exklusiv auf dasjenige der Gruppen, von denen sie jeweils gewählt werden. So zeigt sich insgesamt, dass die neuen Leitideen der Finanzialisierung auf vielfältige Art und Weise wirksam wurden, aber als Ideen selbst weiterhin umkämpft blieben und konkurrierende Orientierungen nicht einfach aus dem Feld geschlagen wurden. Die neue Leitidee der „Shareholder Primacy“ (Stout [91] ) wurde zwar auch in institutionell verbürgte Rechte der Aktionäre und Verpflichtungen des Unternehmens oder des Managements übersetzt oder über (rechtlich normierte) Rationalitätskriterien verhaltenswirksam gemacht, aber eben nur partiell, ohne die grundlegende Ordnungsvorstellung des Unternehmens „auszuwechseln“. Gregory Jackson ([46] ) fasst dies als widersprüchliche „institutionelle Rekonfiguration“ des Unternehmens im deutschen Modell. Die Koexistenz der widersprüchlichen institutionellen Elemente wird von Jackson und Sorge ([48] ) als „institutional layering“ (nach Streeck und Thelen 2005) interpretiert, das neue Praktiken ermöglicht, ohne die alten zu beseitigen oder zu verunmöglichen. Bei der Analyse des Zusammenspiels der potenziell konfligierenden institutionellen Regeln wurde der Schwerpunkt mal mehr auf die „Konversion“, d. h. einer Bedeutungsverschiebung der Mitbestimmung zu einem Element einer neuen Wettbewerbskoalition (Lütz [71] ; Höpner [44] ) gelegt, mal mehr die „Übersetzung“ oder die „Neuverhandlung“ des „Shareholder Value“ unter den „widrigen“ Bedingungen der Mitbestimmung in den Vordergrund gerückt. Letzteres schließt auch ein, dass aus „fremden“ Kontexten stammende Kapitalmarktakteure etwas dazu lernen können und ihre Rollenverständnisse an den anderen Kontext anpassen, in dem unter anderem die Mitbestimmung selbstverständlich ist (vgl. Faust et al. [31] ; Faust [25] ; siehe auch Goutas und Lane [38] ; Jürgens et al. [51] ; Vitols [96] ). Der Tenor der gesellschaftlichen und politischen Kontroversen um die Ursachen und Folgen der Finanzkrise bestätigt in der Folge eher eine Stakeholder-Konzeption des Unternehmens und fordert die „Nachhaltigkeit“ und „Ehrbarkeit“ der Unternehmensführung ein. Dies drückt sich in entsprechenden Ergänzungen des Corporate Governance-Kodex und (moderaten) Korrekturen der Regeln zur Vorstandsvergütungen im 2009 verabschiedeten Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung aus (vgl. Wilke et al. [100] ).11 [11] Aber wirksame Re-Reformen der Corporate Governance, die etwa den Einflussnahmen von aktivistischen Hedgefonds Schranken setzen oder die Mitbestimmungsrechte stärken, sind nicht erfolgt. So bleibt es angesichts der unvollständigen und konflikthaften Finanzialisierung in der institutionellen Dimension bei der Austragung von Konflikten um die Unternehmenspolitik im widersprüchlichen Rahmen der Unternehmensverfassung, deren Ausgang maßgeblich an die konkreten Kräfteverhältnisse in den jeweiligen Akteurskonstellationen auf Unternehmensebene gebunden ist.

Die strukturelle Ausweitung der Finanzialisierung und ihre Grenzen

Die Verwirklichung und das Wirksamwerden von Leitideen wird zum einen durch ihre Institutionalisierung in einem Handlungskontext ermöglicht, der Konkretisierung in Form verbindlicher Rationalitätskriterien oder Regeln und der Ausbildung von Sanktionsmechanismen oder die Anrufungsmöglichkeit einer „Dritten Partei“. Je mehr in einem Handlungskontext eine Leitidee vorherrscht, desto höher sind die Institutionalisierungschancen (Lepsius [69] ; Streeck und Thelen 2005; Faust und Kädtler [29] ). Nichtsdestoweniger bleiben auch institutionalisierte Regeln in der Alltagspraxis interpretations- und damit ergänzungsbedürftig, und dies in besonderer Weise, wenn konkurrierende Leitideen institutionalisiert sind, wie es im „dualen Mandat“ der Mitbestimmung schon immer angelegt war (Jackson [46] ; Faust [25] ). In diesem institutionellen Setting werden Konflikte somit zum einen unter erneuter Anrufung der konkurrierenden Ideen und ihrer Mobilisierungskraft zu entscheiden gesucht, die selbst zeitlichen Konjunkturen unterliegen. Insofern macht es etwas aus, dass die Leitideen der Finanzialisierung in der Börseneuphorie der 1990er Jahre an Strahlkraft gewonnen und im Gefolge der Finanzkrise wieder eingebüßt haben (Sorge und Streeck [90] ). Zum andern werden die Verwirklichung und das Wirksamwerden von Leitideen von der jeweiligen Akteurskonstellation beeinflusst und damit von Macht und Machtressourcen, die die Trägergruppen bestimmter Ideen und Interessen einsetzen (können). In Bezug auf Finanzialisierung betrifft das vor allem die Frage, in welchem Ausmaß deren Trägergruppen, Finanzinvestoren und zugehörige Wissensintermediäre (Analysten, Ratingagenturen), tatsächlich im Feld als Akteur auftreten und für die Ideen und ihre Verwirklichung in Unternehmen eintreten und entsprechende Rechte geltend machen (können).12 [12] Aus diesen Überlegungen kann man Kriterien und Indikatoren für Grade der Finanzialisierung in der strukturellen Dimension gewinnen. Zentral sind das Ausmaß der Börsennotierung (Zahl der börsennotierten Unternehmen) und die Zusammensetzung der Aktionäre bei börsennotierten Unternehmen, insbesondere das Verhältnis von Finanzinvestoren zu Ankerinvestoren, die als „geduldig“ gelten. In Deutschland definieren 25 % der Stimmrechte (Sperrminorität) den Status des Ankerinvestors, der einen wirksamen Schutz vor feindlicher Übernahme und Hedgefondsaktivismus darstellt (Achleitner et al. [1] ; Fichtner [33] ). Unternehmen, die keinen solchen Ankerinvestor aufweisen, entsprechen dem Idealbild des Finanzmarktapitalismus, dem börsennotierten Unternehmen in institutionellem Streubesitz. Nur hier kann auch ein „Markt für Unternehmenskontrolle“ als zentraler Transfermechanismus wirksam werden, der die „operatorische Logik der Finanzmärkte“ auf die Unternehmen überträgt. Frühe Texte zur Finanzialisierung der Unternehmen und zur Herausbildung eines Finanzmarktkapitalismus (Windolf [102] b, [101] a; Deutschmann [15] ; Brinkmann und Dörre [5] ) unterstellten, dass sich in Deutschland diese Konstellation zunehmend durchsetzt. Hierfür gab es einige frühe Anzeichen, wie den Rückzug der deutschen Großbanken und der Allianz Versicherung von strategischen Aktienpaketen. Tatsächlich ist die strukturelle Ausweitung dieser Dimension von Finanzialisierung aber schwächer ausgefallen als ursprünglich vermutet und dies führt zu einer Koexistenz unterschiedlicher Grade der Finanzialisierung, die sich zu typischen Akteurskontellationen verdichten lassen.

In weiten Teilen der Literatur gilt die „Erosion“, „Auflösung“ oder „Abwicklung“ der „Deutschland AG“ (Höpner [44] ; Streeck und Höpner [93] ) als der Prozess, der die Finanzialisierung deutscher Unternehmen zum Ausdruck bringt. Die „Deutschland AG“ als typische kapital- und personenbezogene Verflechtungsstruktur (Windolf und Beyer [103] ) gilt als Synonym für die alte Wirtschaftsordnung, in der die großen Banken und die Allianz-Versicherung zugleich eine Überwachungsfunktion nach innen und eine Schutzfunktion nach außen wahrnahmen. Die „Deutschland AG“ wurde empirisch an den kapital- und personenseitigen Verflechtungen der 100 größten Unternehmen dingfest gemacht, wie sie im Zwei-Jahreszeitraum von der Monopolkommission gemessen wurden (Höpner [44] ). Tatsächlich sank hiernach der Verflechtungsgrad von 1996 mit 143 Verflechtungsfällen bis 2004 rapide auf nur noch 45 Fälle ab und damit ist auch der Hauptteil der Entflechtung der „Deutschland AG“ vollendet (Monopolkommission [76] , S. 220). Zudem ändert sich der Charakter der Beteiligungen. Unter den verbleibenden Beteiligungen fehlen nunmehr gänzlich die großen, strategischen Beteiligungen von Seiten der großen Banken und Versicherungen; allenfalls verbleiben kleinere Finanzbeteiligungen. Die so dokumentierte Auflösung der Deutschland AG ist somit ein Indikator der strukturellen Finanzialisierung, insgesamt aber unvollständig und teilweise irreführend (vgl. Faust und Thamm [30] ). Dies umfasst die folgenden Gesichtspunkte:

Die Konzentration der Analyse auf die 100 größten Unternehmen erfasst zwar mit rund 16 % der Wertschöpfung einen relevanten Ausschnitt der deutschen Wirtschaft, der auch im Hinblick auf Sichtbarkeit und mögliche Vorbildfunktion zu Buche schlägt. Dennoch entgeht einer auf diesen Kreis von Unternehmen fokussierten Analyse der ansonsten für die deutsche Wirtschaft bedeutsam gehaltene „German Mittelstand“ (Streeck [92] ).

Die Erosionsthese bezieht sich nur auf die Verflechtungen der 100 größten Unternehmen untereinander, so bleiben andere Eigentümer (Familien, Unternehmen außerhalb der 100 größten), die auch die Rolle von „geduldigem Kapital“ spielen könnten, unberücksichtigt.13 [13] Aus dem Rückzug von Unternehmen aus dem Kreis der 100 größten als Eigentümer bei einem anderen kann nicht geschlossen werden, dass dieses nunmehr im Eigentum von Finanzinvestoren ist. Die Erosion der Deutschland AG ist somit nicht generell mit Finanzialisierung gleichzusetzen.

Dies zeigt sich auch daran, dass die 100 größten Unternehmen, die nach ihrem Anteil an der Wertschöpfung ausgewählt werden, nur zufällig börsennotierte Unternehmen sind, die dem Kapitalmarkt ausgesetzt sind. Tatsächlich sind 2012 nur etwas mehr als die Hälfte (54) der 100 börsennotiert, der Anteil der börsennotierten unter den 100 Größten schwankt über den Zeitraum von 1990 bis 2012: es gibt aber keinen Trend zur Börsennotierung in der Gesamtpopulation (Faust und Thamm [30] , S. 18).

Zur Erfassung der strukturellen Verbreitung der Finanzialisierung sind andere Indikatoren besser geeignet: die Entwicklung der Anzahl der börsennotierten Unternehmen insgesamt im Zeitablauf, die Zusammensetzung der Aktionäre in diesen Unternehmen nach Kategorien und der Anteil der Unternehmensfälle mit Ankerinvestoren, die als „geduldiges Kapital“ fungieren können.

Die Anzahl der börsennotierten Unternehmen steigt in den späten 1990er Jahren durch Börsengänge vor allem am neu eingerichteten „Neuen Markt“ rapide an und erreicht im Boomjahr 1999 ihren Höhepunkt mit 1043 Einträgen, sodass die 1990er Jahre für einen auch die öffentliche Wahrnehmung prägenden Finanzialisierungsschub stehen. Nach der Börseneuphorie sinkt die Anzahl börsennotierter Unternehmen schnell wieder ab, um mit Schwankungen im Jahr 2014 bei 595 Einträgen zu landen, einem Wert wie Anfang der 1990er Jahre (Faust und Thamm [30] , S. 8). Seither bewegt sich auch die Anzahl der Börsengänge auf einem niedrigeren Niveau als vor dem Boom der späten 1990er Jahre (Faust und Thamm [30] , S. 8).

Der Zugewinn an börsennotierten Unternehmen bis zum Jahre 1999 geht zudem nicht mit dem Siegeszug des idealtypischen Unternehmens des Finanzmarktkapitalismus einher, dem Streubesitz-Unternehmen. Es handelte sich vielmehr häufig um Gründer und Familien, die ihre Unternehmen an die Börse brachten, aber nicht um sich als Privatier zurückzuziehen, sondern um das Unternehmen mit zusätzlichem Eigenkapital weiterzuführen, ohne die Kontrolle aus der Hand zu geben (Achleitner et al. [1] ). Die Finanzialisierung der Unternehmenslandschaft ist somit zugleich eine Ausbreitung von Familienunternehmen am Kapitalmarkt: „Finanzialisierung“ und „Familialisierung“ als parallele Momente einer Entwicklung.

Auch wenn man generell die Zusammensetzung der Aktionäre an börsennotierten Unternehmen zu Rate zieht, zeigt sich ein ähnliches „gemischtes“ Bild. Tatsächlich vollzieht sich ein bedeutsamer Finanzialisierungsschub, der sich in einem Rückgang des Anteils der Unternehmen mit „geduldigem Kapital“ ausdrückt. Lag dieser Anteil Anfang der 1990er Jahre noch bei über 85 %, sinkt er in den Folgejahren deutlich ab und liegt nach neuesten Daten bei rund 58 % (Faust und Thamm [30] ). Dies zeigt eine fortschreitende Finanzialisierung in der strukturellen Dimension an, die aber seit einigen Jahren zum Stillstand kommt. In weit mehr als der Hälfte der Unternehmen bleibt es bei Konstellationen mit Ankerinvestoren und somit potenziell „geduldigem Kapital“, wodurch sich Deutschland weiterhin deutlich von anderen, namentlich den angelsächsischen Ländern unterscheidet.

Schließlich sind Differenzierungen innerhalb der wachsenden Gruppe von institutionellen Investoren von Bedeutung. Es ist zwar unstrittig, dass institutionelle Investoren in börsennotierten Unternehmen seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen haben und zunehmend aus dem Ausland und damit auch aus institutionell und kulturell „fremden“ Kontexten kommen. Entgegen der vorschnellen Annahme, dass Finanzinvestoren gegenüber den Unternehmen einheitlich und gar als kollektiver Akteur auftreten (Windolf [101] a, [102] b), weisen jüngere Beiträge darauf hin, dass Finanzinvestoren in ihren Strategien gegenüber den Unternehmen weit weniger homogen sind und auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichem Nachdruck Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen. Auch unter Finanzinvestoren kann es mehr oder weniger „geduldige“ Akteure geben (Kädtler et al. [56] ).

Die institutionellen Investoren lassen sich danach unterscheiden, ob sie sich in ihren Strategien überhaupt auf die „realwirtschaftlichen Referenzobjekte“, die Nicht-Finanzunternehmen in deren Einbettungen und raum-zeitlichen Fixierungen einlassen oder nicht (Faust [27] ; Faust und Bahnmüller [28] ; Kraemer [61] ). Dies hat schon Konsequenzen im Hinblick auf die Frage, ob diese Kapitalmarktakteure überhaupt auf die realwirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen Einfluss nehmen wollen. Aber auch unter den Investoren, die ihre Anlageentscheidungen mit Blick auf die Positionierung des realwirtschaftlichen Unternehmens treffen, variieren die Interessendefinitionen und Zeitbezüge erheblich. Auf der einen Seite des Spektrums stehen aktivistische Hedgefonds (Becht et al. [3] ; Kahan und Rock [57] ; Fichtner [33] ; Faust [27] ), die gezielt einzelne Unternehmen herausgreifen, um strategische Entscheidungen zu beeinflussen, die ihnen selbst einen lukrativen Exit versprechen, was aber womöglich zu Lasten anderer Aktionäre, anderer Stakeholder oder überhaupt der langfristigen Überlebensbedingungen des Unternehmens geht. Auf der anderen Seite stehen langfristig orientierte Fonds, die in einen intensiven Dialog mit dem Unternehmensmanagement eintreten, aber keine öffentlichen Kampagnen inszenieren, und durchaus etwas zu verlieren haben, wenn von ihnen ausgewählte Unternehmen durch aktivistische Hedgefonds zur wachstumsschädlichen Ausschüttung von Reserven gezwungen werden sollen. Aber auch unter den Fonds, die in ihren Anlagestrategien einen Bezug zum realwirtschaftlichen Referenzobjekt aufweisen, gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die vor Einflussnahme über den Dialog mit den Unternehmen oder die informierte Stimmrechtsabgabe alleine aus Kostengründen zurückschrecken, bei Unzufriedenheit allenfalls die Exit-Strategie wählen und in Bezug auf die Stimmrechtsabgabe als Trittbrettfahrer der „engagierten“ Fondsgesellschaften agieren, aber auch opportunistische Mitspieler bei Hedgefond-Kampagnen werden können. Deeg und Hardie ([14] , S. 645) ordnen einige Kategorien von Finanzinvestoren (Pensionsfonds, Passive Fonds und Staatsfonds) zusammen mit den traditionellen Kandidaten (Familien, Stiftungen) tendenziell eher den „geduldigen Investoren“ zu.

Hinzukommt, dass die verschiedenen Stimmen aus dem Investoren-Universum nicht isoliert wirken, sondern die jeweilige Konstellation der Zusammensetzung der Aktionäre mit bestimmt, wie die Interessen im Lichte vorhandener Möglichkeiten definiert werden und welche Wege der Interessendurchsetzung zur Verfügung stehen. Für Deutschland zeigt sich diesbezüglich, dass die Bedingungen für den Einsatz der Drohung mit feindlicher Übernahme als auch für Hedgefondsaktivismus wegen der häufigen Existenz von Ankerinvestoren vergleichsweise gering ist (Faust [27] ). Im Einklang hiermit weist Deutschland im internationalen Vergleich eine niedrige Rate von Hedgefondsaktivismus aus (Becht et al. [3] ).14 [14] Aktivistische Hedgefonds finden vor allem in Unternehmen im Streubesitz mit niedrigen Hauptversammlungspräsenzen günstigere Voraussetzungen (Fichtner [33] ) und können je nach Zusammensetzung der übrigen Aktionäre auch Verbündete für Kampagnen im „Wolfsrudel“ (Kahan und Rock [57] ) finden.

Insgesamt ergibt sich somit, dass es auf die Zusammensetzung und Gruppierung der Aktionäre ankommt, inwieweit die Trägergruppen der Finanzialisierung tatsächlich Einfluss auf die Geschicke der Unternehmen nehmen; insbesondere die Konstellationen mit stabilen Ankerinvestoren unterscheiden sich von solchen mit institutionellem Streubesitz. Hinzukommt, dass auch die Interpretation der Rolle des Finanzinvestors variiert, was den Chor der Einflussnahmen vielfältiger macht und zusätzliche Optionen der Koalitionsbildung eröffnet. Der Wissenstand über die Verbreitung unterschiedlicher Akteurskonstellationen in Deutschland ist besser geworden. Wie sich diese aber auf die Entscheidungen von Unternehmen auswirken und in welchen Effekten sich das zeigt, ist empirisch bislang nur ausschnittweise analysiert. Dass Unternehmen mit Ankerinvestoren Forderungen nach De-Diversifizierung, überhöhten Ausschüttungen oder kurzfristig wirksamen Kostensenkungen zu Lasten der Innovationsfähigkeit besser abwehren können, ist mit Fallstudienempirie (Faust [25] ; Kädtler et al. [56] ; Hirsch-Kreinsen und Hahn [41] ; anders: Holst [43] ) verschiedentlich gezeigt worden. Aber die Forschungslage zu den Effekten unterschiedlicher Akteurskonstellationen der Finanzialisierung ist schmal und wenig systematisch in Bezug auf die Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren als Erklärungen für variierende Ergebnisse.

Fazit und Ausblick

Die Finanzialisierung des Unternehmens wird seit den 1990er Jahren auch in Deutschland als ein bedeutsamer und an Bedeutung gewinnender Aspekt der kapitalistischen Entwicklung dingfest gemacht. Frühe Diagnosen, wie sie etwa in einem nunmehr 13 Jahre zurück liegenden Sonderband dieser Zeitschrift versammelt waren (Windolf [102] b), konnten sich noch nicht auf eine breite Erforschung des Phänomens stützen und neigten womöglich auch deswegen zu allzu weitreichenden und zu dezidierten Hypothesen zur Ausbreitung und den Wirkungen der Finanzialisierung. Die in der Folge einsetzende empirische Erforschung des Phänomens hat trotz vieler Erkenntnisse im Einzelnen nicht zu einer Konsolidierung des Forschungsfeldes geführt, was auch an der thematischen und konzeptionellen Ausdehnung lag, die das Feld im Gefolge der Finanzkrise erfahren hat. Seit einiger Zeit wird daher verbreitet eine begriffliche oder konzeptionelle Überdehnung der Finanzialisierungsforschung beklagt, ein Befund, dem wir uns hier angeschlossen haben. Das betrifft verschiedene Aspekte: Finanzialisierung selbst wird zu unterschiedlich und oft mehrdeutig definiert und nicht klar genug von verwandt erscheinenden Begriffen abgegrenzt. Finanzialisierung wird vorschnell mit fixen Effekten verbunden, die zudem zu Stufenmodellen kapitalistischer Entwicklung verdichtet werden. Bei der Analyse der Wirkungen wird isoliert auf Finanzialsierungseffekte abgestellt, ohne Interaktionseffekte mit anderen Strukturierungen von Feldern und damit die Multirefentialität von Unternehmen zu berücksichtigen. Zur Behebung dieser Mängel haben wir hier knapp einen Vorschlag zur Analyse der Finanzialisierung des Unternehmens vorgestellt, der sich auf allgemeinere soziologische Konzepte der Strukturierung und Dynamik wirtschaftlicher Felder und des darin operierenden „multireferentiellen Unternehmens“ stützt. Im Einklang mit konventionentheoretischen Perspektiven (Kädtler [54] ) fassen wir Finanzialisierung so als „eine bedingte Rationalität unter anderen“ (Kädtler [53] b), weswegen Unternehmen als „Kompromissobjekte“ (Knoll [60] ) mehr oder weniger finanzialisiert sein können, aber nie nur finanzialisiert. Auf dieser Grundlage analysieren wir Episoden der Finanzialisierung in Deutschland, die vor Augen führen wie Leitideen der Finanzialisierung in einer konflikthaften und widersprüchlichen „Verwirklichung“ in strategischen Entscheidungen von Unternehmen zum Tragen kommen und ebenso im politischen Prozess der Neubestimmung der Unternehmensverfassung, was seinerseits die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen neu rahmt. Schließlich zeichnen wir ein Bild der Dynamik und der Grenzen der Finanzialisierung in der strukturellen Dimension, d. h. im Hinblick auf Börsennotierung, Eigentümerstruktur und Investoreneinfluss. Die so erfassten unterschiedlichen Akteurskonstellationen, in denen die Trägergruppen der Finanzialisierung jeweils unterschiedliches Gewicht haben, bestimmen mit, ob und in welcher Weise die Leitideen der Finanzialisierung zum Tragen kommen. Mit diesen Befunden korrigieren wir auch einige der zu weitreichenden und zu dezidierten Hypothesen, die am Anfang der Forschung zur Finanzialisierung des Unternehmens standen. Die Finanzialisierung der Unternehmen in Deutschland ist strukturell begrenzt, institutionell umkämpft und entfaltet ihre Wirkungen in unterschiedlichen Akteurskonstellationen auf der Unternehmensebene, die ihre je spezifischen Ausprägungen auch deswegen haben, weil Unternehmen multipel und unterschiedlich eingebettet sind. Unsere Intervention sehen wir im Einklang mit einer Reihe ähnlicher Wortmeldungen innerhalb der Finanzialisierungforschung, die dafür plädieren, Finanzialisierung als einen stärker „variegated“ (Karwowski et al. [59] , S. 1) oder „localized and variable process“ (Soener [89] , S. 566) aufzufassen, der in verschiedenen Sektoren und Ländern unterschiedlichen („nuanced“) Charakter annehmen kann. Wenn man dies beherzigt und konzeptionell berücksichtigt, kann man die weiterhin offenen Forschungsfragen sinnvoller angehen und darüber Finanzialisierung als einen Aspekt kapitalistischer Entwicklung in übergeordnete Erklärungsversuche einordnen, anstatt die Finanzialisierung als „totalen“ Erklärungsversuch zu überfordern.

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Auch die durch Steueroptimierung oder durch neue Formen der Finanzierung („Cash Pools“) ausgelösten konzerninternen Zahlungsströme erscheinen dann als Finanzialisierung. 3 So zum Beispiel im Vergleich zwischen der Börseneuphorie der „New Economy“, in der alles auf Wachstum und „Digitalisierung“ gepolt war, und der nachfolgenden Krisenphase, in der es nur noch um Personalabbau und Kostensenkung zu gehen schien (Faust und Bahnmüller 2007; Faust et al. 2011). 4 Bei der Bestimmung der Finanzialisierung in der kognitiv-kulturellen Dimension gibt es die größten Abgrenzungsprobleme, namentlich in Bezug auf verwandte Begriffe, wie Ökonomisierung oder Monetarisierung (vgl. Chiapello 2015). Dies schlägt sich auch darin nieder, welche Art von Kennzahlensteuerung zur Finanzialisierung gezählt werden soll (vgl. Latniak 2016; Faust und Thamm 2016). Wir plädieren für eine enge Fassung, die sich an finanzökonomischen Orientierungen und Kapitalmarktbezug festmachen lässt. 5 So müssen die Vorreiter der Kapitalmarktorientierung in einer Branche nicht notwendig die börsennotierten Unternehmen in Streubesitz sein (vgl. z. B. Kädtler 2009a). Auch Familien können ihr Unternehmen nicht mehr als fortzuführendes Erbe in Familientradition, sondern als „Klumpenrisiko“ ansehen und nunmehr leidenschaftslos dessen Eigenkapitalrendite mit anderen Anlagemöglichkeiten vergleichen. 6 Wie sich das jeweils gruppiert, kann zwischen Unternehmen eines Feldes oder innerhalb eines nationalen Rahmens erheblich variieren; übergeordnete Musterläufigkeiten entstehen dadurch, dass Institutionen oft national einheitlich verfasst sind: „Negotiated Shareholder Value“ (Vitols 2004) als Folge der Mitbestimmung in Deutschland etwa. Aber Variationen folgen nicht nur nationalen Institutionenkonfigurationen, sondern manifestieren sich auch in interner „Capitalist Diversity“ (Lane und Wood 2011). 7 Zur Debatte in der betriebswirtschaftlichen Personallehre siehe Faust et al. (2011, S. 213-218) und Vormbusch (2012). 8 Daten für Folgeperioden sind nicht bekannt. Den Rückgang der Fälle ab dem Jahr 2000 erklären Nicolai und Thomas (2006, S. 72) mit dem Abflachen der Managementmode „Kernkompetenzen“. Es könnte aber auch in Betracht kommen, dass bis 2000 ein Großteil der überhaupt in Frage kommenden De-Diversifizierungen schon abgearbeitet wurde, sodass eine weitere Steigerung oder auch nur Fortführung auf dem bisherigen Niveau gar nicht zu erwarten gewesen wäre. Auch dies könnte mit dem festgestellten Abflauen der medialen Aufmerksamkeitskurve für die Managementmode in Einklang gebracht werden. Es gibt diesbezüglich in den Medien nichts mehr einzufordern und zu berichten. 9 Dies galt für große Versorgungsunternehmen, die im Europäischen Binnenmarkt ihre Gebietsmonopole verloren und mit neuen Wettbewerbern konfrontiert wurden. Ihnen eröffneten sich zugleich Expansionsmöglichkeiten in Mittel- und Osteuropa, für deren Finanzierung Erlöse aus dem Verkauf nicht-fokaler Unternehmensteile hilfreich waren. Unter den Bedingungen des Gebietsmonopols hatten diese Unternehmen (wie etwa die RWE AG) Überschüsse aus dem angestammten Geschäft in teils lose verbundene (Bauunternehmen), teils ganz fremde Industriezweige (Druckmaschinen) investiert. 10 Dies bezieht sich auf eine Kontroverse im strategischen Management zwischen der an Michael Porter (1980) orientierten „market-based view“ und der von Prahalad und Hamel (1990) entwickelten „resource-based view“. Letztere fordert mit der „Konzentration auf Kernkompetenzen“ zwar vordergründig dasselbe wie diejenigen, die aus Kapitalmarktsicht auf die „Konzentration auf Kerngeschäfte“ setzen. Aber Kernkompetenzen können auch über Industrieabgrenzungen hinweg wirksam werden, sodass daraus auch eine Diversifizierung, gemessen an den traditionellen Industrieabgrenzungen, abgeleitet werden kann, die die Nutzung der eigenen Kompetenzen in anderen Industrien ermöglicht. Nur in Fällen, in denen Industrie- und Kompetenzgrenzen zusammenfallen, folgt aus beiden Leitlinien dasselbe. 11 Der CGK fordert in den Änderungen vom 7. Februar 2017 von den Vorständen nun „nicht nur Legalität, sondern auch ethisch fundiertes, eigenverantwortliches Verhalten (Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns)“. Die Bedeutung der „institutionellen Investoren“ für die Unternehmen wird ausdrücklich anerkannt und dann aber ergänzt: „Von ihnen wird erwartet, dass sie ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll auf der Grundlage von transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Grundsätzen ausüben“ (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 1). 12 Auch ohne solche Trägergruppen, bei denen sich Wertbezug und Interesse verbindet, können Ideen ausstrahlen. Ideenverwirklichung und Wirksamwerden ist aber wahrscheinlicher, wo Trägergruppen „hinterher“ sind. 13 Dass zum Beispiel die BMW AG, ein Unternehmen aus den 100 größten, durch die Familie Quandt mit geduldigem Kapital versehen ist, wird nicht durch die Verflechtungsstruktur nach den Daten der Monopolkommission abgebildet. 14 Von den von Becht et al. (2014) für den Zeitraum von 2000 bis 2010 identifizierten rund 1800 aktivistischen Interventionen entfielen nur rund 3 % auf Deutschland.

By Michael Faust and Jürgen Kädtler

Michael Faust1952, PD Dr., rer. soc., Dipl. VW, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen und Privatdozent an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. Forschungsgebiete: Arbeits- und Industriesoziologie, Organisations- und Wirtschaftssoziologie, Management und Managementberatung, industrielle Beziehungen, Finanzialisierung, vergleichende Kapitalismusforschung. Veröffentlichungen: Finanzmarktkapitalismus? Der Einfluss der Finanzialisierung auf Arbeit, Wachstum und Innovation. Frankfurt 2017 (mit J. Kädtler und H. Wolf als Hrsg.); Das (nicht nur) finanzialisierte Unternehmen - ein konzeptioneller Vorschlag. In: Finanzmarktkapitalismus? Der Einfluss der Finanzialisierung auf Arbeit, Wachstum und Innovation. Frankfurt 2017 (mit J. Kädtler und H. Wolf); Wie viel „Finanzmarktkapitalismus“ gibt es in Deutschland? In: Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. Exklusive Teilhabe - ungenutzte Chancen. Dritter Bericht. Bielefeld 2016 (mit L. Thamm, Forschungsverbund Sozioökonomische Berichterstattung als Hrsg.).

Jürgen Kädtler1950, Prof. Dr., ehemaliger geschäftsführender Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI). Forschungsgebiete: Industrielle Beziehungen, Arbeits- und Industriesoziologie, Organisations- und Wirtschaftssoziologie, Finanzmarktsoziologie. Veröffentlichungen: Financialisation of Capitalist Economies - Bargaining on Conventional Economic Rationalities. Historical Social Research 36, 2011; On Conventions, Institutions, Power, and Uncertainty - Some Cursory Remarks. Historical Social Research 37, 2012; Finanzmärkte und Finanzialisierung. In: Handbuch Arbeitssoziologie 2. Wiesbaden 2018 (Hrsg. F. Böhle, G. Voß und G. Wachtler); Financial Market Capitalism or Financial Market Retionality? In: Capitalism and Labor. Towards Critical Perspectives. Frankfurt 2018 (Hrsg. K. Dörre, N. Mayer-Ahuja, D. Sauer und V. Wittke).

Titel:
Die Finanzialisierung von Unternehmen.
Autor/in / Beteiligte Person: Faust, Michael ; Kädtler, Jürgen
Link:
Zeitschrift: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie ( KZfSS), Jg. 70 (2018-10-02), Heft 1, S. 167-194
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0023-2653 (print)
DOI: 10.1007/s11577-018-0543-9
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: The Financialization of the Enterprise.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI) an der Universität Göttingen, Friedländer Weg 31, 37085, Göttingen, Deutschland
  • Full Text Word Count: 11892

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